Unwort Rezession

Die Kolumne von Klaus Kaldemorgen

Kaum ein Wort der Wirtschaftssprache ist so negativ besetzt, kaum ein Begriff für mehr Stirnrunzeln interessierter Marktteilnehmer und –beobachter verantwortlich.

05.03.2018 / Heute möchte ich über ein Unwort sprechen. Rezession. Nachdem unser gegenwärtiger Aufschwung schon im neunten Jahr ist, fragen sich nun immer mehr Anleger und Kommentatoren, wie lange es noch so weiter geht, bevor Das-Unwort-das-nicht-genannt-werden-darf wieder in allen Schlagzeilen steht. Ein Hinweis vorneweg, damit wir uns nicht missverstehen. Es steht uns unserer Meinung nach kein Wirtschaftsabschwung, respektive Rezession ins Haus. Nicht in diesem Jahr und nach Lage der Dinge auch nicht im nächsten Jahr. Trotzdem lohnt es sich einmal zu betrachten, was in der Vergangenheit am Aktienmarkt einer Rezession vorausgegangen ist.

Wirtschaftlicher Abschwung statt Zinsanstieg

Zunächst möchte ich aber nochmal mit einem verbreiteten Missverständnis aufräumen. Weithin herrscht die Meinung, dass ein Zinsanstieg einen Aktienabschwung bedingt. Wenn man aber ehrlich ist, sind es nicht steigende Zinsen die letztendlich einen Aktienmarkt zu Fall bringen, sondern vielmehr ein wirtschaftlicher Abschwung. Natürlich können steigende Zinsen mit einigem Vorlauf auch Auslöser für eine Rezession werden. Einige Pessimisten verweisen mittlerweile gerne auf die rekordverdächtige Länge des gegenwärtigen Aufschwungs in den USA. Allerdings besagt eine Börsenweisheit, dass ein amerikanischer Wirtschaftsaufschwung nicht an Altersschwäche stirbt, sondern von der dortigen Zentralbank Federal Reserve, auch Fed genannt, ums Leben gebracht wird. Das Instrument für diese martialische Tat ist dann der Zinshebel.

Rezession ist, wenn...

Nun wird die Fed nicht ohne Not die Zinsen stärker erhöhen, als dies angesichts der herrschenden Vollbeschäftigung und der expansiven Fiskalpolitik der USA angezeigt ist. Erst wenn die Inflationsrate deutlich anziehen sollte, könnte der Zinsanstieg nicht nur dämpfend wirken, sondern auch die Konjunktur abwürgen und damit eine Rezession nach sich ziehen. Die Börse ist für solch ein Szenario typischerweise ein guter vorlaufender Indikator. Seit den siebziger Jahren haben wir insgesamt vier Mal eine Rezession in den Vereinigten Staaten erlebt. Nach gängiger Definition ist eine Rezession gegeben wenn zwei aufeinanderfolgende Quartale ein negatives Wachstum aufweisen, oder, wie es weniger diplomatisch aber treffender formuliert auch heißt: Rezession ist, wenn zwei Quartale in Folge die Wirtschaft schrumpft.

Indikator Aktienmarkt?

Schaut man sich in den verfügbaren Daten seit den 1970ern die Anzahl der Quartale zwischen dem Höchststand des Aktienmarktes und dem Beginn der jeweiligen Rezession an, so kommt man auf eine durchschnittliche Vorlaufzeit von etwa einem Jahr. Das heißt, der Aktienmarkt erreicht seine Höchstmarke rund ein Jahr bevor die Rezession einsetzt. Die durchschnittlichen Kursverluste zwischen dem Hoch vor der Rezession und dem Tief während der Rezession betrug dabei etwa 38 Prozent. Eignet sich also der Aktienmarkt als eindeutiges Orakel für einen wirtschaftlichen Abschwung? Mitnichten. Die Börse neigt dazu, mehr Rezessionen vorherzusagen, als tatsächlich stattfinden. Zyniker rechnen einem gerne vor, dass die Börsen in den Vereinigten Staaten dreizehnmal „erfolgreich“ sieben Rezessionen antizipiert haben. So geschehen beispielsweise während der Technologieblase zwischen 2000 und 2003: In dieser Zeit fiel die amerikanische Börse um 48 Prozent, aber es kam zu keiner Rezession.

In diesem Beispiel war das sogar der Fed zu verdanken. Nachdem sie ihren Leitzins bis Anfang 2000 bis auf 6,5 Prozent heraufgesetzt hatte, folgten insgesamt 11 Zinssenkungen, um die durch die Kursverluste verursachten rezessiven Tendenzen zu bremsen. Und tatsächlich konnte nicht nur die Rezession vermieden, sondern auch der Kursverfall in 2003 gestoppt werden. Wären die Zinsen zu Beginn der Börsenbaisse allerdings nicht so hoch gewesen, hätte schlichtweg das Zinssenkungspotential gefehlt um eine drohende Wirtschaftskrise zu vermeiden. Vielleicht sollte sich die EZB dieses Fallbeispiel einmal genauer ansehen. Bei den gegenwärtig negativen Zinsen hätte sie schwerlich „firepower“, um rezessiven Tendenzen entgegenzuwirken.

Kein Wirtschaftsabschwung in Sicht

Immerhin hat die EZB im Vergleich zu ihren amerikanischen Zentralbankkollegen einen Vorteil: eine längere Vorwarnzeit. So erreicht die deutsche Börse bereits anderthalb bis zwei Jahre vor einer Rezession ihren Höchststand – zumindest historisch. Wie eingangs gesagt, ein Wirtschaftsabschwung steht hier nicht an. Nicht in diesem Jahr und nach Lage der Dinge auch nicht nächstes Jahr. Das Unwort Rezession dürfte also noch eine Weile aus dem Großteil der Schlagzeilen verbannt bleiben – auch wenn größere Korrekturen am Aktienmarkt erste Vorboten des Unworts sein könnten.

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