Herr Rommel, der Gründer von Microsoft, Bill Gates, hält die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz für so grundlegend wie die Entwicklung des Mikroprozessors, des Computers oder des Internets. Stimmen Sie ihm zu?
Ich würde nicht widersprechen. Bill Gates hat sich ja schon früh mit den Entwicklern von ChatGPT auseinandergesetzt und dabei hautnah erlebt, mit welcher immensen Geschwindigkeit sich die dahinter liegenden Modelle verbessern. Wenn man sich anschaut, wie viele Unternehmen sich mit generativer KI beschäftigen, wie viele Wissenschaftler daran forschen und wieviel Kapital in diesen Bereich fließt, dann kann man schon vermuten, dass da etwas grundlegend Neues entsteht. Wahrscheinlich stehen wir noch ganz am Anfang der Entwicklung.
Mit der Öffnung von ChatGPT für das breite Publikum vor gut einem Jahr hat generative KI einen ungeheuren Aufschwung genommen – auch an der Börse. Was treibt die Anleger?
ChatGPT hat auf jeden Fall die Fantasie beflügelt, weil wir jetzt sehen, wozu generative KI fähig ist. Sie kann plötzlich Bilder kreieren, Texte schreiben, Software erstellen. Das sind einfach Fähigkeiten, die wir vorher nicht gesehen haben. Und daraus ergeben sich natürlich ganz neue Möglichkeiten. Darüber hinaus haben wir in den vergangenen Monaten aber auch gesehen, dass die KI tatsächlich die fundamentalen Daten von Unternehmen positiv beeinflussen kann weil die Umsätze und Gewinne stärker wachsen als vorher gedacht.
Wir suchen gezielt nach Unternehmen, deren Produkte nicht so leicht von Wettbewerbern zu kopieren sind.
Welche Branchen profitieren aus Ihrer Sicht derzeit am meisten vom KI-Boom?
Wir haben den Fonds so aufgestellt, dass er die derzeitigen Profiteure aus drei Bereichen abbildet. Da sind erstens die Unternehmen, die Daten sammeln oder selbst über proprietäre Daten verfügen. Zweitens sind es Unternehmen, die die Rechenpower zur Verfügung stellen, die man braucht, um die KI-Modelle zu trainieren und dann am Ende auch laufen zu lassen. Und der dritte Bereich sind die Anwender, also Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, die KI auf eine differenzierte Art und Weise einsetzen und dadurch ihr Unternehmenswachstum erhöhen können.
Wie ist der Investmentprozess für den DWS Invest Artificial Intelligence aufgebaut?
Für unseren KI-Fonds gibt es zwei Pfeiler der Analyse. Zum einen schauen wir uns natürlich genau an, ob ein Unternehmen vom KI-Trend profitiert. Wir suchen gezielt nach Unternehmen, deren Produkte nicht so leicht von Wettbewerbern zu kopieren sind. Wichtig ist, dass es mit diesem Produkt stärker wachsen kann als der Markt. Und dass KI einen signifikanten Beitrag zum Umsatz, zum Gewinn und natürlich auch zum Aktienkurs leistet.
Darüber hinaus bleibt natürlich die Fundamentalanalyse wichtig. Wir als Fondsmanagement sind ja eingebettet in das globale Aktienteam der DWS, das alle Unternehmen, in die wir investieren, auf ihre Fundamentaldaten hin durchleuchtet: Wie sieht die Bilanz aus? Wie erfolgversprechend ist das Geschäftsmodell? Was trauen wir dem Management zu? Beides zusammen führt dann zu der Entscheidung, ob ein Unternehmen für unser Portfolio geeignet ist oder nicht.
Wie finden Sie heraus, welche Unternehmen dank KI echte Wettbewerbsvorteile aufweisen?
Das ist eine Teamleistung. Ich manage den Fonds ja nicht alleine, sondern wir sind ein vierköpfiges Team, in das jeder von uns seine besonderen Stärken einbringt. Ich bin hauptsächlich für die Halbleiteraktien zuständig. Dann gibt es Felix Armbrust, der für seine Doktorarbeit selbst schon ein KI-Modell entwickelt hat und sich gut auf der technischen Seite auskennt. Manuel Mühl covert seit vielen Jahren Internet-Plattformen und Medienunternehmen. Und wir haben Zequn Zhang, der in China aufgewachsen ist, fließend Mandarin spricht und ein sehr gutes Verständnis für die Wertschöpfungskette in Asien und für die dortigen Unternehmen mitbringt. Und hinter dem Team steht natürlich die gesamte Investment-Plattform der DWS mit über 50 Analysten allein in Frankfurt und Präsenz in den meisten wichtigen Märkten.
Gehören zu Ihrem Auswahlprozess auch Unternehmensbesuche?
Auf jeden Fall. Ich war zum Beispiel erst kürzlich wieder in China und habe dort viele Gespräche geführt. Asiatische Unternehmen sind ein wichtiger Bestandteil unseres Portfolios und natürlich wollen wir auch im direkten Gespräch mit dem Management herausfinden, wie es denen geht.
Was war die wichtigste Erkenntnis Ihrer China-Reise? Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Ganz klar die Dynamik, mit der sich in China die Dinge entwickeln und auch der technologische Fortschritt in vielen Bereichen. Ich fand es faszinierend, dass fast alle Unternehmen, mit denen ich gesprochen habe, über den Einsatz von KI berichtet haben. Ob das jetzt ein Spieleentwickler ist, der mittels KI neue Computerspiele designt, oder ob es ein Medizintechnik-Unternehmen ist, dass KI nutzt, um in der Diagnostik Blutkörperchen schneller zu identifizieren. Es gab sogar einen Batteriehersteller, der damit bessere Batterien entwickeln möchte. Die Breite, in der KI in China schon heute eingesetzt wird, ist wirklich beeindruckend.
In welchen Regionen erwarten Sie in nächster Zukunft die stärksten KI-getriebenen Entwicklungen? Sind es die USA mit ihrem Silicon Valley und den dort ansässigen Technologieunternehmen? Oder ist es tatsächlich China?
Die USA sind natürlich noch in einer komfortablen Position. Gerade was die Halbleiter-Technologie angeht, haben sie einen Vorsprung gegenüber China. Wir haben derzeit zwei Drittel des Portfolios in den USA investiert, aber auch etwa 25 Prozent in Asien und darunter etwa zehn Prozent in China. Das Land verfügt über viel Potenzial und wird seine Position sicher weiter ausbauen. Die Chinesen haben sich vorgenommen, bis 2030 bei Künstlicher Intelligenz in der Welt führend zu sein, und fördern das stark mit staatlichen Subventionen.[1] Jedes Jahr gehen tausende Wissenschaftler von den Universitäten ab, um mit Hochdruck an KI über die gesamte Wertschöpfungskette zu arbeiten. Und auch auf der Datenseite sind die Chinesen bestens positioniert. Man braucht sich ja nur mal zu überlegen, wie viele Internetnutzer es in China gibt: mehr als in den USA und in Europa zusammen.
China verfügt über viel Potenzial und wird seine Position sicher weiter ausbauen. Die Chinesen haben sich vorgenommen, bis 2030 bei Künstlicher Intelligenz in der Welt führend zu sein.
Jetzt haben wir über einen kleinen Kontinent noch gar nicht gesprochen, das ist Europa. Haben Sie überhaupt auch europäische Unternehmen in Ihrem Portfolio?
Ja, so 5 bis 10 Prozent der Unternehmen in unserem Portfolio stammt aus Europa. Es ist aber tatsächlich schwierig, hier geeignete Unternehmen zu finden. Es fehlt auf unserem Kontinent einfach ein Ökosystem wie das Silicon Valley. Dort sind Unternehmen, Wissenschaftler und Geldgeber alle an einem Ort konzentriert. In China ist das teilweise ähnlich. Aber in Europa gibt es das in dieser Form einfach nicht.
Wo, glauben Sie, kann die KI in Zukunft die größte Wirkung entfalten?
Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Anwender bilden eine wichtige Säule unseres Portfolios und deshalb schauen wir uns auch viele Branchen außerhalb des Technologiesektors an. Die zwei interessantesten Bereiche sind derzeit wahrscheinlich die Medizin und der Verkehrssektor. Im Gesundheitssektor zeichnet sich ab, dass KI helfen wird, die Entwicklungszeiten und Kosten von Medikamenten deutlich zu reduzieren. Und im Verkehrssektor steht das autonome Fahren vor dem Durchbruch. Da können wir in Zukunft noch einiges erwarten.
Die Wertentwicklung Ihres Fonds war in den vergangenen Monaten starken Schwankungen unterworfen. Woran liegt das?
Der DWS Invest Artificial Intelligence ist ein Wachstumsfonds, da sind Schwankungen ganz normal. Unser Anspruch ist es, in Unternehmen zu investieren, die das Potenzial haben, über zehn Jahre ihre Umsätze und ihre Gewinne zu verdoppeln. Bei solchen Unternehmen bekommt man die Dividende nicht sofort, weil der Großteil der Wertschöpfung eben in der Zukunft erwartet wird. Wenn dann die Zinsen steigen, so wie wir das im vergangenen Jahr erlebt haben, dann ist das für Wachstumsunternehmen oft besonders schwierig, da sie in der Regel teurer bewertet sind als der breite Aktienmarkt. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn die Zinsen mittelfristig wieder sinken, wovon wir hier im Haus ausgehen, dann nützt das den Bewertungen.[2]
Anleger, die das Risko scheuen, sollten also lieber die Finger von Ihrem Fonds lassen?
Ich sage immer, der DWS Invest Artificial Intelligence ist ein Fonds, der eine langfristige Perspektive bietet. Unsere Anleger sollten also einen langen Atem mitbringen. Denkbar wäre ein Sparplan, bei dem man regelmäßig über einen längeren Zeitraum eine feste Summe investiert, denn dann könnte man dank des Cost-Average-Effekts (Durchschnittskosteneffekt) sogar von diesen Schwankungen profitieren. Wenn die Kurse mal ein bisschen nach unten gehen, dann bekommt man etwas mehr Anteile, und wenn sie steigen, ein bisschen weniger. Auf lange Sicht kann sich das auszahlen.
Der DWS Invest Artificial Intelligence weist derzeit eine starke Übergewichtung in den Sektoren IT und Kommunikation auf, die zusammen über 70 Prozent des gesamten Fondsvermögens ausmachen. Was unterscheidet den Fonds von anderen Technologiefonds?
Wir haben das Portfolio bewusst so aufgestellt, dass wir hinsichtlich von Sektoren, Regionen und Größe gut diversifiziert sind. Bei den Sektoren liegt natürlich großes Gewicht auf der Technologie. Gerade im Software-Bereich findet man viele Profiteure des aktuellen KI-Booms. Wir mischen aber bewusst auch andere Sektoren mit dazu. Und bei den Regionen? Klar, in diesem Jahr wäre es am besten gewesen, wir hätten nur US-Aktien im Portfolio gehalten, denn die chinesischen Aktien lagen eher im Minus. Aber das kann sich auch schnell ändern. Und auch die großen Unternehmen waren dieses Jahr der Performance-Bringer. Aber wir versuchen trotzdem, eine gewisse Balance zwischen Unternehmen mit einer sehr hohen Marktkapitalisierung, sogenannte Mega-Caps einerseits und den kleineren disruptiven Unternehmen andererseits hinzubekommen.
In der Medizin gehen schnell mal ein paar Jahre ins Land, bis ein Medikament von der Regulierungsbehörde zugelassen wird. Bei der KI gibt es das nicht.
Parallel zu dem starken Wachstum von KI-Anwendungen nimmt auch die öffentliche Diskussion über ethische oder urheberrechtliche Fragen zu. Beeinflusst Sie das in Ihren Anlageentscheidungen?
Ja, das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema, das wir aufmerksam beobachten. Bei KI haben wir aktuell keinerlei Zulassungsvorschriften für diese neuen Modelle. Ganz anders als zum Beispiel bei Medikamenten. In der Medizin gehen schnell mal ein paar Jahre ins Land, bis ein Medikament von der Regulierungsbehörde zugelassen wird. Bei der KI gibt es das nicht. Da entlässt man das Modell in den Markt und guckt einfach mal, was passiert. Das wird sicherlich nicht so bleiben. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir bei KI mehr Regulierung sehen werden. Die Herausforderung wird aber sein, sich auf globaler Ebene auf gewisse Standards zu einigen. Es bringt ja nichts, wenn wir als Europäer vorpreschen und die neuen Technologien dann eben in den USA oder China weiterentwickelt werden. Und man darf auch die Nebenwirkungen, die durch Regulierung entstehen, nicht unterschätzen. Zum Beispiel, dass dadurch große Unternehmen tendenziell bevorteilt werden, weil diese einfach besser mit komplexen Zulassungsvoraussetzungen zurechtkommen als kleine.
Würden Sie KI auch einsetzen, um Ihren Auswahlprozess zu verbessern?
Aktuell sind wir bei der DWS dabei, ein paar Tools zu testen. Wir haben das aber noch nicht in der Breite ausgerollt. Am Ende ist KI eine Technologie, die uns in unserer täglichen Arbeit sicher an vielen Stellen helfen kann. Auf die Finanzmärkte bezogen wird sie zudem dazu führen, dass die Märkte noch effizienter werden, wie das mit anderen technologischen Errungenschaften der Vergangenheit auch war.
Kann die KI uns auch eines Tages Aktien empfehlen, die man kaufen soll?
Da bleibe ich skeptisch, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil die Datenbasis in diesem Bereich eher klein ist. Damit die KI zum Beispiel eine Katze erkennen kann, braucht sie Millionen von Katzenbildern. Und wir haben eigentlich nur 50, maximal 100 Jahre an Historie am Aktienmarkt. Das ist nicht viel, gerade für jemanden, der einen langfristigen Investitionshorizont mitbringt. Und zweitens, weil es für unseren Auswahlprozess sehr wichtig ist, auch persönlich mit den Unternehmen zu sprechen und das Management zum Beispiel zu fragen, was sie von ihren Wettbewerbern halten. Das sind Informationen, auf die die KI keinen Zugriff hat, die uns in unserer Einschätzung aber enorm helfen. Deshalb bleibe ich optimistisch, dass es unseren Job auch weiterhin geben wird.
Das Team
Tobias Rommel steuert als Lead Portfolio Manager unter anderem das Portfolio des DWS Invest Artificial Intelligence. Der Betriebswirt verfügt über mehr als 17 Jahren Branchenerfahrung und ist auf die Analyse von Aktien aus dem Halbleiter-Sektor spezialisiert. Beim DWS Invest Artificial Intelligence wird er von drei Kollegen unterstützt.
Felix Armbrust, der für seine Doktorarbeit selbst schon ein KI-Modell entwickelt hat, analysiert Software-Unternehmen. Manuel Mühl covert seit vielen Jahren Internet-Plattformen und Medienunternehmen. Vervollständigt wird das Team von Zequn Zhang, der in China aufgewachsen ist, fließend Mandarin spricht und ein sehr gutes Verständnis für die Wertschöpfungskette in Asien und für die Unternehmen dort mitbringt.